Vorwort und Dank

Dieses erste Buch über das bisherige Lebenswerk des Malers und Zeichners Peter Baer versammelt Arbeiten aus dem Zeitraum von 1960 bis zur Gegenwart. Tag für Tag steht der heute 74-jährige Künstler vor neuen leeren Leinwänden, und ebenso nimmt er angefangene oder auch ganz alte, ehemals als vollendet betrachtete aus den Stapeln hervor und hängt sie an die weisse Malwand. Ein Werk in ständigem Fluss – das Buch gewährt Einhalt. Es verschafft einen Überblick über ein immenses OEuvre, das seit 1964 in gegen 40 Einzelausstellungen, vorzüglich in Basel, zwar immer wieder öffentlich präsentiert, aber nie zusammenfassend gewürdigt wurde. Einzelne Aspekte und Werkphasen hingegen wurden immer wieder bearbeitet und in Katalogen und Beiträgen der Schriftsteller Frank Geerk und Adelheid Duvanel, von den Kunsthistorikern und Kunstkritikern Georg Germann, Dieter Koepplin, Aurel Schmidt, Jean-Christoph Ammann, Wolfgang Bessenich und Georg J. Dolezal durchleuchtet und publiziert. Trotzdem ist es um den Künstler, wie man zu sagen pflegt, «ruhiger» geworden. Das mag mehr mit seiner einsamen Stellung im Kunstbetrieb zusammenhängen als mit der Qualität seines Schaffens. Innerhalb der Schweizer und der Basler Kunst seiner Zeit war und ist er ein «Solitär». Wie viele gleichartige Einzelkämpfer und Eigenbrötler, wie viele Versessene, ja Obsessionisten reiht er sich in andere Bezugsnetze ein. Zuoberst steht Alberto Giacometti mit seinen «Chancen des Scheiterns». Es sind ausgesprochen offene Kunstbegriffe und «lose» Kunstformen, die das Schaffen von Peter Baer abstecken. Man muss sich auf seinen Bilderkosmos einlassen, sich von ihm gleichsam verführen lassen, um ihm mit Gewinn zu begegnen. Keine leichte Aufgabe angesichts eines Werks, das von Mythen getränkt ist und der Krudität des malerischen Alltags nicht ausweicht. Dass dieses enigmatische, der Öffentlichkeit weitgehend entzogene Werk in Buchform in die Kunstwelt zurückkehrt, verdanken wir insbesondere zwei Personen. Zum einen Susanne Moser Baer, die den Künstler ein Leben lang begleitet und unterstützt hat, mit liebender Zuneigung, wacher Kritik und tatkräftiger Lebenshilfe. Zum andern Andreas Kistler, alter Freund des Künstlers und engagierter Bewunderer, der keine Mühe gescheut hat, als Herausgeber (und Mitproduzent) dem Werk von Peter Baer zu neuer Resonanz zu verhelfen. Wir verdanken auch herzlich alle andern Beiträge, die zur Realisierung des vorliegenden Bandes beigetragen haben.

 

Einleitung

Zu Besuch bei Peter Baer 

Der Künstler und sein Werk. Eine häufig ambivalente Verbindung. So gibt es Künstler, die sich ganz hinter ihrem Werk verstecken, und solche, die es eher verdecken. Auch die Kunsthistoriker schlagen sich oft nur auf die eine Seite. Sie folgen den biografischen Spuren, sie zeichnen die Persönlichkeit und schliessen daraus, andere beachten die privaten Umstände kaum und lassen nur das Werk gelten, messen es an sich selber. Peter Baer gehört ganz zu denjenigen, die geradezu immer mehr entschwinden, ja sich aufzulösen scheinen, jedenfalls in der Gesellschaft, auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten kaum mehr auftauchen – und deren Werk sich insgeheim anhäuft.

So ist man versucht, sich erst der geheimnisvollen Person zu nähern, und das Schaffen vorerst beiseite zu lassen. Zumal diese Person zunehmend eine komplexe Konfiguration darstellt, die Einfühlung ungemein erschwert, wenn nicht behindert, und so das Unterfangen zum gefährlichen Abenteuer mutiert. Wie einem Künstler habhaft werden, der sich mit Tücke und List ununterbrochen entzieht? Er ähnelt jenem Jonas aus Albert Camus’ gleichnamiger Erzählung «Der Künstler bei der Arbeit», 1956 bei Gallimard in Paris innerhalb der Sammlung «L’Exil et le Royaume» erstmals erschienen. Darin zieht sich der vorerst erfolgreiche, einem «guten Stern» folgende Maler Jonas, über dessen Bilder man bezeichnenderweise nichts erfährt, nach und nach aus der Öffentlichkeit zurück, um am Schluss auf seiner Atelier-Galerie wohnend, die Leiter einzuziehen. «Er malte nicht, aber er dachte nach», schliesst Camus, während in einem Nebenraum eine völlig weisse Leinwand steht. Nur in der Mitte hatte Jonas mit ganz kleinen Buchstaben geschrieben, die man wohl entziffern konnte, ohne indessen sicher zu sein, ob es heissen sollte «solitaire» oder «solidaire». 

Peter Baer, am 1. November, also im Sternzeichen des Skorpions, des schwierigen Jahres 1936 in Winterthur geboren, aber in Basel aufgewachsen, hat sozusagen sein ganzes Malerleben in dieser Stadt zugebracht. Seine Passion ist dergestalt, dass der Wohnort eigentlich keine Rolle spielt. Seine sogenannte Laufbahn hätte sich auch ganz anderswo abspielen können, sagen wir in Manchester, Genua oder Hannover, und sein Werk hätte in irgendeinem Atelier der Welt entstehen können. Seit Jahrzehnten ist es Basel, Arbeit- und Wohnort knapp getrennt, Klybeck das Quartier. Doch ist es unmöglich, ihn je einen «Basler Künstler» zu nennen. Viele Basler Freunde haben ihn betreut und auch behütet, viele der Basler Schriftsteller und Kunsthistoriker, darunter die allerbesten, haben Bestes über ihn geschrieben. Und doch hat er sich jeglicher Vereinnahmung entzogen.

Er ist ein Existenzialist. Was heisst, die blosse Existenz der Dinge, und selbst der Menschen, genügt ihm und ist ihm so wichtig, sie ständig zu befragen. So ist ein Stuhl so bedeutsam wie ein Mythos. Und alles spielt im selben Raum. Auf dem brüchigen Boden dieser Weltdecke, von der schon Büchner angesichts einer Pfütze Angst hatte durchzubrechen. Die Lage ist prekär, so dürftig und provisorisch, wie in Becketts Stücken. Die Philosophen der Zeit haben von «Geworfenheit» gesprochen und den Topos vom «unbehausten Menschen» erfunden, und Camus, der Philosoph, der er auch war, hat das Glück im Mythos von Sisyphus vermutet. Täglich kommt der Maler Baer in sein Atelier und nimmt ein Bild zur Hand, meist ein angefangenes und noch mehr ein eigentlich fertiges, um die Mühsal des Seins zu bezwingen. Sisyphus als Maler: Er ist nie zufrieden, er malt eigentlich immer dasselbe Bild. Er trägt es den Berg der Existenz hinauf, der Qual der Tages- und Nachtstunden entlang. Das Glück, die Erfüllung währt kurz. Perfektion ja, Vollkommenheit nie. Der Maler ist ein Meister seines Metiers, er prüft, wägt ab, verwirft, startet neu, korrigiert, setzt an (eine geradezu groteske Leidenschaft von Peter Baer, aber eine kohärente, bildkonstituierende), hält inne – und beginnt wieder von vorn. Die Formate, die Motive und Themen, die Farbigkeit, der Gestus – alles austauschbar. Die Räumlichkeit – nie.

Der Raum bezeichnet das Befinden. Er bildet die Schale, in der sich der Maler aufhält. Unsicheres, schwebendes, gefährdetes Raum-Nest. Das Atelier als «Verschlag» – genau wie bei Jonas. Die Bilder wie zum Schutz an die Wände gestapelt. Das Atelier als innerste Zone.

Ruheort, Rückzugsort, Ausgangsort ohne Geografie, ohne andern Halt als den der Kunst. Die Gedanken kreisen um nichts anderes: das Bild. «L’Exil et le Royaume» – der vereinsamte Künstler im Reich seiner Bilder.

Natürlich ist der junge Grafiker und Absolvent der Malklasse an der Kunstgewerbeschule Basel (bei Martin A. Christ) auch gereist. Mit einem Stipendium der Stadt Basel früh nach Paris, und alsdann der Entschluss, es als freischaffender Künstler zu wagen. Ab 1965 immer wieder nach Italien, Spanien, Griechenland zu den alten Mythen, aber auch nach Deutschland, Belgien, Holland, England und Portugal. Ins Herz der europäischen Kultur, mit südlichem Einschlag. Die Gleichzeitigkeit und Bedeutungsgleichheit von Abstraktion und Figuration setzt früh ein. Sie wird geradezu zu einem Signum des Werks. Ein Aufenthalt in New York, Peter Baer ist jetzt 40, erweitert die Raumerfahrung ins Monumentale, Kosmische. Die natürlichen Dimensionen und Verhältnisse von Mensch und Raum werden gesprengt. Wenn überhaupt Boden, dann schief und flüchtig. Die Diagonale gewinnt an Bedeutung, wird Bildgesetz. Und die Farbigkeit folgt den Kontrasten, hell gegen dunkel, ganz hell, ganz dunkel. Die Tempel von Karnak und das Venedig von Tintoretto und Tizian beflügeln den Maler in den 80er-Jahren, auch das Zeichnen tritt als eigenständiger künstlerischer Ausdruck gebieterisch hervor. Der Künstler beschäftigt sich vor Ort mit dem Islam und der Kunst der Azteken, Olmeken und Maya. In den 90ern bricht er gar auf nach dem Hochland der Masai Mara in Kenia, durch die Wüsten von Kalifornien, Nevada, Utah, Arizona. Überall sucht er das Ursprüngliche, ja den Ursprung. Die Archaik vermählt sich mit dem Existenzialismus. Auch noch im Jahr 2004, in Bangkok, Ayutthaya, Sukhotai, Chiang Mai und Chiang Rai. Er kennt jetzt alle Weltstriche und vor allem alle Weltreligionen. Und immer kehrt er nach Basel zurück, Klybeck – inzwischen auch Mythos, in sein Atelier.

Hier zeigt er sein kultur- und philosophiegesättigtes Werk in Galerien, wird aber immer weniger verstanden. Ein unzeitgemässer Bilderdenker in einer Zeit des modebewussten Kunstbetriebs, des gepflegten Marketings. Ein Besessener im Heuhaufen der Oberflächlichkeit. Er verschwindet, um zu bleiben. Immer wieder wendet er sich dem Porträt zu, es gelingen ihm herausragende, «tiefe» Bildserien. Er porträtiert in der Art Alberto Giacomettis, als ob ihm der letzte und einzige Mensch gegenübersitzt, und auch dieser ist ein anderer, der Fremde. Aber diesem gilt es, ein Denkmal zu setzen. Er soll nicht ohne Spur bleiben, nicht ohne Gesicht, nicht ohne Bild-Seele. Er soll im Bild präsent bleiben und überleben. Das Porträt als «Memento mori», auch als malerisches Exerzier- (und «Sezier»-) Feld. Hierin bündeln sich der malerische Impetus und auch die doppelte Meisterschaft des Malers.

Ein anderer, später geborener, aber ebenso wie Camus absurd schicksalshaft ums Leben gekommener Schriftsteller hat diese Tragik berührend und unvergesslich geschildert. Auch in einem Erzählband 1992 erschienen («Die Ausgewanderten», Eichborn Verlag) besucht der Autor W.G. Sebald den Maler «Max Aurach». Dieser hat sich ins Exil nach Manchester gerettet und dort in «einer Zone des Zerfalls» seine Heimstatt eingerichtet. Eine deutsch-jüdische Vergangenheit zieht in Bilder und Erinnerungsfetzen vorbei, das Jahr 1936 spielt eine wichtige Rolle, die Kunst versucht, dagegen anzukommen. «Einmal draussen bei den Docks, dauerte es nicht lange, bis ich Aurachs Studio gefunden hatte. Der gepflasterte Hof war unverändert.Das Mandelbäumchen stand im Begriff zu blühen, und als ich über die Schwelledes Ateliers trat, war es, als sei ich gestern erst hier gewesen. Dasselbe taube Licht senktesich durch die Fenster herein, und auf dem schwarz verkrusteten Boden in der Mitte des Raumesstand die Staffelei mit einem schwarzen, bis zur Unkenntlichkeit überarbeiteten Karton. Nach der an einer zweiten Staffelei angehefteten Vorlage zu schliessen, hatte Courbets mir immer besonders liebes Bild ‹Die Eiche des Vercingetorix› Aurach zum Ausgangspunkt seiner Zerstörungsstudie gedient. Er aber, Aurach selbst, den ich, von draussen hereinkommend, zunächst gar nicht gesehen hatte, sass in seinem roten Samtfauteuil im Halbdunkel des Hintergrunds, hielt eine Teetasse in der Hand und blickte seitwärts her auf den Besucher.»

Wir Leser und Betrachter sind die Besucher dieses Buches und eines Werks, das dadurch nicht mehr «solitaire» ist.

Ein Werk, dessen Umfang und Entwicklung schwierig zu beschreiben ist. Acht Schriftsteller, Kunsthistoriker und Kunstkritiker unternehmen den Versuch. Ihre Texte gliedern den Band, die Bildabfolgen. Die hier anschliessend folgenden drei Bilder schlüsseln pars pro toto einige Merkmale des malerischen Kosmos von Peter Baer auf. Auf dem doppelseitig abgebildeten «Der Schatten des Widders», das fast vollständig in wenig gemischtem Feuerrot und Ultramarin, mit weissen und schwarzen «Konturen» gestaltet ist, erstreckt sich bilddiagonal eine zweigeteilte, wie gespiegelte Form, die von einer länglichen, männlichen Büste links im Bild ausgelöst und wie überwacht wird. Die sich verdoppelnden Schatten finden in der hinteren Bildzone ihre vertikale Entsprechung. Zwei Frauenbüsten, die durchaus an Giacomettis «Annette» gemahnen, verdeutlichen das Thema des «Doppelgängers», das wiederum die unsichere Position des Künstlers selber reflektiert. Wo steht und liegt, wo sitzt er auf dieser Welt? Die Welt und ihre Erscheinungen stürzen in sich zusammen, wie auf «Reiter» (s. S. 15). Die Bestürzung, Verzweiflung scheinen total, hier steht keiner und niemand mehr auf. Die malerischen Mittel sind kongenial eingesetzt, ein Goya verwandtes Desaster, die Weltkatastrophe per se. Gegenüber schläft sie, die menschliche Existenz. Im Schwarz, der Königin der Farbe, wie Manet berichtete. Nicht allein die Farbe des Schlafes und Todes ist sie – auch die Farbe des Kosmos, des unendlichen Raums. Der Denk- und Fühlraum des solitären Malers Peter Baer, der malend das Schicksal des Menschseins mitteilt. Ein Werk, das Solidarität und Empathie verlangt.

 

Porträt

Die beiden Porträts von Susanne, der Lebensgefährtin des Künstlers, unterscheiden sich nicht nur durch die Brille. Auch die Bildgrössen differieren und damit das Verhältnis von Kopf und Umraum. Der Jahrgang spielt kaum eine Rolle. Das eine ist dabei eher als Büste zu bezeichnen. Dieses wird durch ein durchgängiges, allerdings farbgesättigtes Weiss bestimmt. Die Dargestellte befindet sich in vielerlei Hinsicht in einer Art träumender Distanz. Fast hat sich ein Weissschleier zwischen Maler und Modell gezogen. Die Fremdheit des andern wird so mit einfachen Mitteln thematisiert. Auch schwingt ein madonnenhafter Anklang mit. Ein Porträt als Devotionalien. 

Ganz anders das zweite Porträt. Hier herrscht Präsenz. Der Maler will ergründen. Er will hinter das Existenzgeheimnis des andern, Gegenübersitzenden gelangen. Die Brille behindert den analytischen Tiefblick nicht, im Gegenteil. Kaum einen Menschen kennt er so gut wie diesen, wie Alberto seine Annette. Es muss gelingen. Das Bild muss gültig sein. Es muss mit der erahnten Person übereinstimmen, ihrem nur fühlbaren Seelenreich, es muss die Jahrgänge überdauern. 

Peter Baer gelingt es immer wieder, in eigentlichen Porträt-Serien dieser Uraufgabe, diesem einfachsten Malwunsch, der so schwer einzulösen ist, gleichsam überzeitliches Dasein abzugewinnen.